• 2.1.1 Definition und Merkmale (basierend auf dem europäischen Verständnis)

      Was sind Microcredentials?

      Microcredentials sind ein Instrument des Lebenslangen Lernens (LLL). LLL wird in Deutschland traditionell eher mit Weiterbildung verbunden. Ein Microcredential bezeichnet jedoch einen Kompetenznachweis nicht nur im Rahmen der Weiterbildung.
      Die Erwägungen des Europäischen Ansatzes (2022)1 für Microcredentials sind:

      Die Menschen benötigen Zugang zu qualitativ hochwertigem Lehren und Lernen, das auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Umgebungen angeboten wird, um ihre persönlichen, sozialen, kulturellen und beruflichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln. […]

      Eine wirksame Kultur des lebenslangen Lernens ist der Schlüssel, um zu gewährleisten, dass jeder Mensch über die Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen verfügt, die er braucht, um in der Gesellschaft, auf dem Arbeitsmarkt und in seinem persönlichen Leben erfolgreich zu sein. […]

      Microcredentials könnten helfen, die Ergebnisse kleiner, maßgeschneiderter Lernerfahrungen zu zertifizieren. Sie ermöglichen den gezielten, flexiblen Erwerb von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen, um neuem und aufkommendem Bedarf in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt gerecht zu werden und befähigen Personen zur Schließung individueller Kompetenzlücken, die ihrem Erfolg in einem sich rasch wandelnden Umfeld im Wege stehen, ohne jedoch die traditionellen Qualifikationen zu ersetzen.“

      (aus den einleitenden Erwägungen, Ziffern 3-5).

      Zur eigentlichen Definition heißt es:

      Microcredentials“ sind Nachweise über die Lernergebnisse, die eine Lernende bzw. ein Lernender im Rahmen einer weniger umfangreichen Lerneinheit erzielt hat. Diese Lernergebnisse werden anhand transparenter und eindeutig definierter Kriterien beurteilt. Lernerfahrungen, die zum Erhalt von Microcredentials führen, sind so konzipiert, dass sie den Lernenden spezifische Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen vermitteln, die dem gesellschaftlichen, persönlichen, kulturellen oder arbeitsmarktbezogenen Bedarf entsprechen. Microcredentials sind Eigentum der Lernenden, können geteilt werden und sind übertragbar. Sie können eigenständig sein oder kombiniert werden, sodass sich daraus umfangreichere Qualifikationen ergeben. Sie werden durch eine Qualitätssicherung gestützt, die sich an den im jeweiligen Sektor oder Tätigkeitsbereich vereinbarten Standards orientiert.“ (Begriffsbestimmungen 5. a))

      Das Hochschulgesetz soll diesen Rahmen aufgreifen, wenn es im Referentenentwurf2 im Kern im neuen § 60a heißt:

      Die Hochschulen können Lehre anbieten, mit der außerhalb eines Studienganges der Erwerb von Kompetenzen in einem geringeren Umfang als in einem Studiengang vermittelt wird. [...] Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer [...] erhalten über die erbrachten Prüfungsleistungen Microcredentials. Diese sind Leistungszeugnisse, in denen die jeweils erworbenen

      Kompetenzen ausgewiesen sind. Sind keine Prüfungsleistungen erbracht worden, erhalten

      die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Teilnahmebescheinigung.“

      Microcredentials sind eine qualitätsgesicherte neue Form von Nachweisen, die in keine bisherige Schublade passt. Im Fokus steht der definierte Kompetenzerwerb in Einheiten kleiner als ein Studiengang. Es gibt keine abschließende Definition der Zielgruppe, auch weil nicht nur Hochschulen als Anbieter von Microcredentials in Erscheinung treten. Für Hochschulen stellt sich die Herausforderung, dass sich Microcredentials an alle schon bekannte Zielgruppen richten (insbesondere Studierende, Weiterbildungstudierende, Zweithörer*innen, Gasthörer*innen, Schüler*innen), aber auch an Beschäftigte und andere neue Zielgruppen, die es aktuell noch nicht gibt. Auch die bisherige Abgrenzung in grundständige Lehre und Weiterbildungslehre erscheint je nach Microcredential nicht mehr passend. Im Gegensatz zu anderen (kommerziellen) Anbietern haben Hochschulen das Privileg, Microcredentials mit ECTS zu belegen, wenn sie die definierten ECTS Grundsätze einhalten.

      2.1.2Abgrenzung zu Modulen, Zertifikaten, Weiterbildungen

      Worin unterscheiden sich Microcredentials von anderen Qualifikationsformaten?
      Ein Microcredential zertifiziert den Nachweis, dass eine vorab definierte Kompetenz oder eine Fähigkeit erreicht wurde. Die Vorbereitung kann durch die Teilnahme an Lerneinheiten (Lehrveranstaltungen, Selbstlerneinheiten etc.) und der verpflichtenden Prüfung erfolgen. Microcredentials stehen für sich und sind keine Studiengänge und Teil von Studiengängen. Gleichwohl können Microcredentials für gleichwertige Leistungen in Studiengängen anerkannt werden. Wie die weiteren Ausführungen des Europäischen Ansatzes zeigen, gibt es verpflichtende Beschreibungselemente (vgl. Anhang I des Europäischen Ansatzes, 2022). Die Beschreibung von Microcredentials entspricht damit weitgehend den gewohnten Modulbeschreibungen.

      Die Abgrenzung von Modulen in Studiengängen, existierenden Zertifikaten oder Weiterbildungsangeboten bleibt mindestens in der Einführung eine Herausforderung. Existierende Zertifikate und Weiterbildungsangebote können aber natürlich ein guter Ausgangspunkt sein, bestehende Angebote zu Microcredentials zu entwickeln, unterliegen dann aber einer verpflichtenden auf das Microcredential bezogenen Qualitätssicherung, die laut geplantem Hochschulgesetz hochschulintern erfolgt.



      2.1.3Relevanz im Kontext von lebenslangem Lernen und Third Mission

      Warum gewinnen Microcredentials für Hochschulen und Lernende an Bedeutung?


      Im Europäischen Ansatz wird auch explizit die Bedeutung der Universitäten und Hochschulen angesprochen, wenn es heißt:

      Die Bildungsministerinnen und -minister des Europäischen Hochschulraums haben sich im Kommuniqué von Rom des zwischenstaatlichen Bologna-Prozesses (10) dazu verpflichtet, ihre Hochschuleinrichtungen dabei zu unterstützen, i) ihr Lernangebot zu diversifizieren und ii) bei Bildungsinhalten und Vermittlungsformen innovativ zu sein. Neben vollständigen Studiengängen bieten viele Hochschuleinrichtungen auch kleinere Lerneinheiten an oder planen, diese anzubieten, wobei ihr Recht gewahrt bleibt, Studiengänge zu konzipieren und Fragen der Anrechnung von Studienleistungen unabhängig zu regeln. Diese kleineren Einheiten können den Lernenden helfen, ihre kulturellen, beruflichen und bereichsübergreifenden Fertigkeiten und Kompetenzen in verschiedenen Lebensabschnitten weiterzuentwickeln oder zu aktualisieren. Im Rahmen des Bologna-Prozesses wird gemeinsam untersucht werden, wie und in welchem Umfang diese kleineren, flexiblen Lerneinheiten – einschließlich derjenigen, die zum Erwerb von Microcredentials führen – unter Verwendung gemeinsamer Instrumente definiert, entwickelt, umgesetzt und anerkannt werden können.

      Die Antwort des Gesetzgebers auf die neue Rolle der Universitäten und Hochschulen ist, dass sie sich zu Einrichtungen des lebenslangen Lernens weiterentwickeln und auch ihren Beitrag leisten sollen, um den Fachkräftemangel zu begegnen (NACHWEIS RefE).

      Universitäten und Hochschulen stehen aktuell vor Herausforderungen, sich weiterzuentwickeln. Die Liste der mahnenden Worte passgenauere, flexiblere Möglichkeiten von Studium und Qualifizierung zu entwickeln ist lang, wenn man sich die nur die „Empfehlungen des Wissenschaftsrates für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre“ und die Ausführungen „Die authentische Hochschule“ von Frank Ziegele und Ulrich Müller anschaut. Die Etablierung und Einführung von Microrcredentials können eine Möglichkeit sein, gewissen Herausforderungen zu begegnen. Der Gesetzgeber im Nordrhein-Westfalen eröffnet den Gestaltungsspielraum, Studium und Qualifizierungsmöglichkeiten neu zu denken und die bisherigen Schubladen „Angebote in Studiengängen“ und „Weiterbildungsangebote“ zu verlassen. Diese Chance sollten Universitäten und Hochschulen nutzen.

      2.1.4Einbettung in nationale und europäische Rahmenwerke (EQF, ESG, ECTS, LRC)

      Der Europäische Ansatz für Microcredentials sieht vor, dass Microcredentials in die jeweiligen und unterschiedlichen Qualifikationsrahmen aufgenommen werden sollen. Die vorgegebenen Standardelemente der Beschreibung eines Microcredentials (vgl. Anhang I des Europäischen Ansatzes) sehen bereits die Angabe des Niveaus auf Basis des Europäischer Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQF) und des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum (QF-EHEA) vor. Das bedeutet, Universitäten und Hochschulen geben an, auf welcher Niveaustufe ein Microcredentails sich bewegt (6 oder 7 oder auch 5 oder 8).

      Mit der Adressierung des Europäisches Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) gelten auch die dort beschriebenen ECTS-Grundsätze, die im ECTS – Leitfaden3 niedergelegt sind. Die ECTS Grundsätze beantworten weitergehende Fragen für Universitäten und Hochschulen. Denn ECTS bedeutet die in erster Linie die Definition und Festlegung von Lernergebnissen und die Darlegung mit welcher Form des Assessments diese überprüft werden. Nur eine ergänzende Information der voraussichtliche Workload in Stunden.

      Die sog. Lissabon-Konvention und deren Ratifizierung (Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. April 1997 über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region) findet Anwendung, wenn eine „Vertragspartei“ also ein Mitgliedstaat Microcredentials „als zu ihrem Hochschulsystem gehörend“ ansieht (vgl. Definition von Hochschulprogramm). In diesem Fall gilt der Anerkennungsmaßstab des „wesentlichen Unterschieds“ bezogen auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, auch wenn man § 63a HG so lesen könnte, als gelten die Anerkennungsregeln nicht für Microcredentials. Insoweit ist aber die Lissabon-Konvention direkt und vorrangig anwendbar. Hochschulen und Universitäten werden also mit dem Thema Microcredentials zumindest über das Thema Anerkennung konfrontiert werden, selbst wenn sie selbst keine Microcredentials anbieten (so auch in: „Microcredentials an Hochschulen – strategische Entwicklung und Qualitätssicherung“ von HRK-MODUS).

      1Rat der Europäischen Union (2022). Empfehlung des Rates über einen europäischen Ansatz für Microcredentials für lebenslanges Lernen und Beschäftigungsfähigkeit. https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9237-2022-INIT/de/pdf

      2Referentenentwurf

      3Webseite Europäische Kommission (letzte Änderung 13.09.2022). Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS). https://education.ec.europa.eu/de/education-levels/higher-education/inclusive-and-connected-higher-education/european-credit-transfer-and-accumulation-system (zuletzt abgerufen am 03.11.2025)